Ich saß in einem der großen Hörsäle im alten Mannheimer Schloss, das die Universität Mannheim beherbergt.  Dort hörte ich zusammen mit vielen Kommilitonen einen Vortrag von Dieter Rickert, einem der Top-Headhunter in Deutschland. „Wenn Rickert anruft, nimmt jeder deutsche DAX-Vorstand ab“, habe ich mir sagen lassen. Es war im Jahre 1988 oder 1989, so genau weiß ich es nicht mehr. Woran ich mich aber erinnern kann, ist, was er gesagt hat – ohne Notizen gemacht zu haben. In Hunderten von Workshops für Führungskräfte habe ich ihn seither zitiert.

Was hängen geblieben ist, ist PAMM.

PAMM ist ein Akronym, mit dem Rickert uns erklärte, welche Eigenschaften nach seiner Erfahrung die besonders erfolgreichen Vorstände und Unternehmer auszeichnen:

P = Phantasie

A = Augenmaß

M = Mut

M = Menschlichkeit

Phantasie steht für die Fähigkeit, „out of the box“ (in etwa das englische Gegenstück zu „über den Tellerrand hinaus“) zu denken. Sie bedeutet, sich Dinge und Situationen vorzustellen, die noch nicht da sind. Kreativ zu sein, neue Ideen zu entwickeln. Rickert beschreibt es so:

„Nimmt man zwei Manager, die eine gleich gute Ausbildung genossen haben und die auch sonst mit gleichen Talenten gesegnet sind, dann wird der phantasievolle, kreative Manager erfolgreicher sein als sein Konkurrent… Erfahrung ist wichtig… Aber Erfahrung blickt zurück; die Zukunft bewältigt man nur mit Phantasie.“

Augenmaß ist die Fähigkeit, kluge Entscheidungen zu treffen und zum richtigen Zeitpunkt das Richtige zu sagen. Rickert beschreibt Augenmaß als die „Resultante aus Lebenserfahrung und Temperament“, eine Eigenschaft, die man erlernen kann.

Mut bedeutet, zu Entscheidungen auch gegen Widerstände zu stehen und unliebsame Beschlüsse zu fassen, wenn sie notwendig sind. „Das einmal als richtig Erkannte auch wirklich in die Tat umzusetzen, den Widerstand derer zu überwinden, denen dies unbequem ist.“

Menschlichkeit schließlich ist die vielleicht entscheidende Fähigkeit. Rickert drückte es in seinem Vortrag so aus: Große Unternehmen haben im Durchschnitt alle durchschnittlich begabte und durchschnittlich motivierte Mitarbeiter. Derjenige Unternehmenslenker wird mit seinem Unternehmen die Nase vorn haben, dem es gelingt, seine „Mannschaft“ zu überdurchschnittlicher Leistung zu motivieren.

„Nur wer in der Lage ist, die Welt durch die Augen seiner Mitmenschen zu sehen, erkennt ihre Motive und kann sie entsprechend motivieren“, schreibt Rickert. Im Vortrag sagte er, dass man dazu den Pförtner-Test machen könne. Sinngemäß und aus meiner Erinnerung rekonstruiert sagte er:

„Sprechen Sie mit dem Pförtner in einem großen Unternehmen und fragen Sie ihn nach dem Vorstandsvorsitzenden. Wenn seine Augen zu leuchten beginnen und er Ihnen davon erzählt, wie der Chef regelmäßig bei ihm reinschaut, sich nach dem Wohlbefinden seiner Gattin erkundigt, dann wissen Sie: Diese Führungskraft erreicht die Menschen im Unternehmen, und für diesen Vorstandsvorsitzenden werden viele durchs Feuer gehen, ihr Bestes geben.“

Meine zweite Inspirationsquelle, was Führung angeht, ist die Idee von „Level 5 Leadership“ des amerikanischen Businessautors Jim Collins. Collins entwickelte die Idee auf der Basis jahrelanger Forschung. Er veröffentlichte den Ansatz 2001 im Harvard Business Review7 und arbeitete das Konzept im Bestseller „From Good to Great“8 (Von gut zu großartig) aus. Vor allem erfolgreiche Veränderungsprozesse gehen fast immer auf solche „Level-5-Führungskräfte“ zurück, so das Ergebnis der Studie von Collins.

Eine Führungskraft, die nach dem Collins-Modell die fünfte (und höchste) Stufe von Führung erreicht, zeichnet sich durch die paradox wirkende Kombination aus zwei Eigenschaften aus: Unbeugsamer Wille und eine enorme Zielstrebigkeit einerseits und Demut andererseits. Diese Mischung ist deshalb so wirkungsvoll, weil diese Führungskräfte zwar ungeheuer ambitioniert und ehrgeizig sind. Ihre Ambition ist aber immer auf die Sache, die Organisation und den Unternehmenssinn ausgerichtet und nicht auf die eigene Agenda.

Man findet diese CEOs selten auf den Titelseiten großer Wirtschaftsmagazine oder in Talkshows. Es geht ihnen nicht darum, sich selbst in Szene zu setzen. Es geht ihnen um den langfristigen Erfolg von Unternehmen. Diese CEOs sind selten, wie Jim Collins herausfand – von 1.435 untersuchten Unternehmen qualifizierten sich nur elf in seiner Studie. Alle elf hatten CEOs mit den Eigenschaften von Level-5-Entscheidern. Meine These: Level-5-Führungskräfte sind auch Magnetische Führungskräfte.

Die unbedingte Zielorientierung, der unbeugsame Wille entspricht Rickerts „Mut“ – der Mut die eingeschlagene Richtung auch gegen Widerstände beizubehalten. Sie schließt auch die Fähigkeit ein, Ziele zu setzen und fokussiert zu sein.

Demut ist die überraschendere der zwei Eigenschaften. Sie bedeutet für mich einerseits, dass Show weniger wichtig ist, als Ergebnisse zu erzielen. Demut heißt aber auch: Ich bin immer willig und bereit, zu lernen. Ich höre zu, stelle mich nicht über andere und schaffe dadurch ein hohes Maß von Vertrauen. Das passt zum zweiten M in PAMM: Menschlichkeit. Die Demut ist es, was Menschen anzieht und ihnen die (psychologische) Sicherheit gibt, von der Project Aristotle von Google spricht.

Bearbeiteter Auszug aus: „Magnetische Unternehmenskultur – Wie Unternehmen die PASSENDEN Mitarbeiter und die IDEALEN Kunden anziehen, von Christian Conrad, 2019